Einleitendes

Das Gebäude des heutigen Kunst- und Kreativhauses Rechenzentrum war Teil eines dreiteiligen Ensembles. Dieses hatte 1969 bis 1971 ein Kollektiv um Sepp Weber für den VEB Maschinelles Rechnen als Datenverarbeitungszentrum erbaut. Dabei überbaute man teilweise die Gelände der zerstörten Garnisonkirche und des ausgebrannten Baukörpers des Langen Stalls.

In Vorbereitung des Aufbaus einer Kopie des Garnisonkirchturms wurde der Sozialtrakt des Rechenzentrums, obwohl er intakt und in Nutzung war, 2010 abgerissen. Vorbereitend für den Bau des Turms wurde 2013 auch die Straßenführung geändert. Die Wiederherstellung des Platzes an der Plantage in seinen alten Ausmaßen und die annähernde Wiederherstellung der Kubatur des Langen Stalls wurden eingefordert. Dafür musste die Serverhalle des Rechenzentrums 2019 weichen. Auch sie war intakt und wurde bis zuletzt genutzt.

Verbinder RZ und Rechnerhalle zur Fête de la Musique 2017

Der Verwaltungsbau des einstigen „Datenverarbeitungszentrums“ steht noch und wird intensiv genutzt. Er erzählt die Geschichte von Zerstörung, den Idealen der 60er Jahre und von erneuter Zerstörung für neue historisierende Ideale. Und er erzählt von niedrigschwelliger und diverser Nutzung bestehender Strukturen, während sein Umfeld in Orientierung an preußische Geschichte neu sortiert und weiter umgepflügt wird.

Abriss Serverhalle des Rechenzentrums, 2019

Architekturgeschichte des Rechenzentrums

Der Eingang des Datenverarbeitungszentrums lag in einem von der Dortustraße zurückgesetzten Verbindungstrakt. Auf der linken Seiten befand sich die zweigeschossige Rechnerhalle auf rechteckigem Grundriss. Auf der anderen Seite des Verbinders stand (und steht) der fünfgeschossige Verwaltungsbau auf quadratischem Grundriss. Bis 2010 war südöstlich ein flacher Kantinenflügel angeschlossen. Die Rechnerhalle besetzte partiell die Plantage sowie einen Teil des 1734 nach Plänen von Pierre de Gayette fertigstellten Langen Stalls, der bis auf Georg Christian Ungers Schauportal von 1781 dem Krieg zum Opfer fiel.

Das Verwaltungsgebäude, das heutige Rechenzentrum, springt von der historischen Bauflucht der Breiten Straße zurück und überlagert auch nach dem Abriss der Kantine einen Teil der Grundfläche, die die 1968 gesprengte Garnisonkirche eingenommen hatte. Der Stahlbeton-Skelettbau wurde vor Ort montiert (Laststufe 2 MP). Das zugrundeliegende Konstruktionssystem SK-Ost war u.a. für den Bezirk Potsdam entwickelt worden. Nach dem Baukastenprinzip konnten mit Fertigteilen verschiedene Aufgabengebiete abgedeckt werden.

Nicht nur durch das prominente Mosaik wurde das Gebäude standortbezogen ausgestaltet. Dies wurde wichtig, denn Walter Ulbricht bemängelte bei einem Besuch in Potsdam 1967 die unter Leitung des Stadtarchitekten Werner Berg konzipierte Zentrumsplanung und warnte vor Monotonie [Laut Ulbricht seien „Betonsärge“ zu vermeiden, gerade am Standort der Garnisonkirche müsse „ein Gebäude stehen, das wirkt“. Doch war das Bauwesen nach dem Ende der Nationalen Tradition – jener Phase der DDR-Architektur, die programmatisch auf Stile der Vergangenheit zurückgegriffen hatte – ab Mitte der 1950er Jahre zunehmend industrialisiert worden, einhergehend mit einer ,modernen‘ Formensprache und der Typisierung ganzer Bauten – oder Konstruktionsverfahren, wie im Falle des Systems SK-Ost.

Um das „nüchterne System“ zu individualisieren entwickelten die Architekten um Sepp Weber und Wolfgang Kärgel ein eigenes, mit der SK Bauweise vereinbares, Fensterformat. Die dem VEB Hochbauprojektierung Potsdam ausgelagerte Brigade entschied sich für einen Stützenabstand mit Querformat . Nun wurden auf der entsprechenden Breite zwei ,maßgeschneiderte‘ quadratische Fenster eingesetzt. Als ebenso „machbar“ erwies sich die Idee, vertikale Wandvorlagen zur plastischen Gliederung der Fassaden anzubringen, die zugleich als Sonnenschutz hätten dienen können. Für das Rechenzentrum hatte eine „halbstaatliche“ Firma aus Waren/Müritz Aluminiumprofile „aus dem Katalog“ auf Länge gebracht und sich zudem der Unterkonstruktion angenommen.

Bezüge zur lokalen Bautradition: Gliederungselemente in Barock und Moderne

Nicht zufällig charakterisieren ähnliche Gliederungselemente den 1970 in traditioneller Bauweise errichteten Anbau des Rechnungshofes aus dem Jahr 1907 (heute Bundesrechnungshof) in der Dortustraße. Ein weiteres Beispiel fand sich in Potsdam ganz zentral: Stahlbeton-Lisenen gliederten sämtliche Fassaden des inzwischen bis auf die überformte Bibliothek abgerissenen Komplex aus dem Institut für Lehrerbildung (IfL, gebaut 1971 – 1977, nach der Wende Sitz der Fachhochschule Potsdam) und der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek (1970 – 1974), der sich zwischen dem Altem Markt und der Straße Am Kanal erstreckte.

Die Architekten des Datenverarbeitungszentrums griffen das Motiv des Stahlbetonskeletts auf. Es war als rein gliederndes Element ohne tragende Funktion angelegt. In diesem Sinne fungierten die Wandvorlagen als Schmuckwerk an Bauten der eigentlich funktional ausgerichteten Moderne. Wie bei vielen klassischen Ornamenten wird eine tektonische Rolle im Gesamtgefüge vielleicht nicht suggeriert, aber zumindest gedanklich assoziiert. Dieses Motiv hatte Ludwig Mies van der Rohe (zusammen mit Philip Johnson) am Seagram Building in New York (1954 – 1958) – seinerseits als Ausdruck einer modernen Klassik und ikonenhaft für die Nachkriegsmoderne – mit nichttragenden bronzebeschichteten Stahlträgern an der Vorhangfassade veredelt.

Analogien zum Werk Mies‘ schimmern auch in anderen Aspekten durch. So gliedert sich der Verwaltungsbau um einen großzügigen, begehbaren Innenhof (so wie einst die einzelnen Module des Instituts für Lehrerbildung und der Bibliothek). Im Entwurf für die Krupp-Konzernzentrale in Essen hatte Mies zwei Höfe hintereinander angeordnet (eine Vorliebe für Innenhöfe zeigt sich in weiteren Entwürfen und Bauten). Am Institut für Lehrerbildung erinnerte sogar der Kolonnadengang, ja der ganze Fassadenaufbau an diesen unrealisierten Entwurf von 1963.

Verschiedene bedeutende Werke in den USA sind durch Mies‘ Markenzeichen, die applizierten Stahlträger, gekennzeichnet. Diesen Bauten eine unmittelbare Vorbildwirkung auf die zentralen Gebäude der Potsdamer Ostmoderne zu attestieren, wie hinsichtlich des IfL in Internetforen und sogar in der FAZ zu lesen ist, erscheint allerdings – nicht zuletzt aufgrund der abweichenden Materialität – als übertrieben. Zwar hatten die Architekt:innen in der DDR auch nach dem Mauerbau Zugriff auf „westliche Architekturzeitschriften.” Laut Wolfgang Kärgel sei van der Rohe aber nie „als direktes Zitat oder Vorbild in unseren Köpfen“ gewesen. In der Hochzeit der Nachkriegsmoderne hätten „analoge Rahmenbedingungen“ schlicht zu „analogen Gestaltungsmitteln“ geführt.

In Potsdam wird die moderne Abstraktion eines klassischen Motivs häufig als ,Lokalbezug‘ gewertet, hallen doch an genannten ostmodernen Bauten jene (teilweise geschossübergreifenden) Pilaster, Lisenen und Säulen eines frühklassizistisch durchdrungenen Barock wider, die unter Friedrich II. vielfach Verwendung fanden. Laut Kärgel sollte mittels der „vertikalen Struktur“ – am Rechenzentrum, am Anbau des Rechnungshofes und am IfL – bewusst eine Referenz zum Ort und zur Historie hergestellt werden.

Die einst plastische Fassade des Rechenzentrums ist durch Umbauten nach der Wende nur noch durch die aufgehellten horizontalen Brüstungselemente und die Fenster gekennzeichnet, was genannte Bezüge unsichtbar gemacht und den Bau wieder entindividualisiert hat.

Ein Ort der Kontraste

Auch städtebaulich bestimmte die Geschichte Potsdams den erwünschten Kontrast von ,Alt‘ und ,Neu‘, der als Einheit in der sozialistischen Stadt fungieren sollte. Die Garnisonkirche wurde zwar ,ersetzt‘, gleichzeitig wurde (zusätzlich zu den lisenenartigen Wandvorlagen) ein Bezug zu den historischen Umgebungsbauten hergestellt. So nahm der südöstlich vorgelagerte Kantinen-Flachbau ungefähr die Höhe des Sockels des Unger-Portals auf, das restauriert und in die Neugestaltung der damaligen Wilhelm-Külz-Straße einbezogen wurde. Auch dies ist – nach dem 2010er Abriss der Kantine – nicht mehr nachvollziehbar.

Nicht ungewöhnlich für DDR-Bauten aus jener Epoche ist wirkungsvoll in Szene gesetzte baubezogene Kunst. So wird die Sockelzone des Rechenzentrums südlich und westlich durch das markante, zwischen den Stützen angebrachte und aus achtzehn Einzelbildern bestehende Mosaik „Der Mensch bezwingt den Kosmos“ charakterisiert.

Es ist sicher kein Zufall, dass dieses Mosaik, das der säkularen Idee vom wissenschaftlichen Fortschritt huldigte, an historisch so bedeutungsvoller Stelle, dem Standort der Garnisonkirche, installiert wurde. So liest es sich wie ein ,Gegenprogramm‘, nicht nur zur Religion, sondern mit seiner sozialistischen Agenda auch zum überwunden erklärten „preußisch-deutschen Militarismus“. Das Mosaik nimmt nach dieser Lesart direkten Bezug auf die Geschichte des Ortes, ohne dass dies auf den ersten Blick erkennbar ist.

Noch 1967 war geplant, hier ein Gebäude für die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft und daneben – am Standort des Garnisonkirchenturms – ein Haus der Wissenschaft zu errichten. Ein Datenverarbeitungszentrum ist erst in der 1968 von Werner Berg und der Deutschen Bauakademie ausgearbeiteten Zentrumsplanung zur Vorlage beim Politbüro eingezeichnet.

Aktuelle Entwicklungen

Seit dem Auszug des Brandenburgischen Landesrechenzentrums dient das Gebäude als Kunst- und Kulturzentrum. Noch immer ist unklar, ob es im Kontext der Debatte um die Nutzung der ehemaligen Kirchenfläche komplett oder teilweise erhalten werden kann. Vertreter:innen der Stadt Potsdam sowie der Stiftung Garnisonkirche äußerten jahrelang die Meinung, dass mit dem Bau des Turms der Garnisonkirche aus baurechtlichen wie brandschutztechnischen Gründen der Abriss zumindest eines Teils des Rechenzentrums erforderlich wäre.

Die Ortsgruppe von Architects for Future e.V. hat 2021 führende Experten um eine Prüfung des Sachverhaltes gebeten. Bei den Gutachtern handelt es sich um Christoph Conrad, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht sowie Verwaltungsrecht, Helmuth Bachmann, Brandassessor und Prüfingenieur für Brandschutz sowie Prof. Eike Roswag-Klinge, Professor der TU im Bereich Baukosten und Nachhaltigkeit. Parallel initiierten Frauke Röth, Mitglied des Sprecher:innenrats des RZ, und Prof. Philipp Oswalt, Initiator des Lernorts Garnisonkirche, eine Fachaufsichtsbeschwerde, mit der sie den Darlegungen der Stadt Potsdam entgegentreten wollen.

Die Initiative Architects for Future Deutschland setzt sich für die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens ein. Ein wesentlicher Baustein hierbei ist “Um- und Weiternutzung von Gebäuden statt Abriss”. Bei der Betrachtung der Energiebilanz des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes fällt auf, dass durch die Bewertung von grauer Energie eine Sanierung jedem Neubau, selbst dem von Passivhäusern, vorzuziehen ist.

Ein Abriss des Rechenzentrums ist nicht notwendig, weder aus Gründen des Brandschutzes, der Abstandsregeln (Raum zwischen RZ und GK), noch des Eigentumsrechtes: Zu diesem Ergebnis kommen die drei Gutachter, die von Architects for Future Potsdam beauftragt wurden. So kann in Sachen Abstand von den drei Meter, die die Brandenburgische Bauordnung vorgibt, abgewichen werden, wenn der Brandschutz gewährleistet ist und eine “atypische Grundstückssituation vorliegt“. Atypisch bedeutet in diesem Fall, dass zwei Gebäudezuschnitte sich überlagern. In einem solchen Fall müsste sich üblicherweise das neue Gebäude, in diesem Fall der Garnisonkirchturm, an das vorhandene anpassen. Laut Gutachter Christoph Conrad könnte die Stadt Potsdam eine Abweichung von der Abstandsregelung selbst veranlassen.

Laut Helmuth Bachmann, Prüfingenieur für Brandschutz, bestätigt ein Brandschutznachweis, der 2019 im Auftrag des Sanierungsträgers Potsdam vom Prüfingenieur Wolfang Menzel erbracht wurde, dass beide Gebäude brandschutztechnisch ausreichend getrennt sind. Auf Seiten der Garnisonkirche wurde zuvor eine Brandschutzwand eingebaut.
Für die Architects for Future ist besonders wichtig, dass der ursprüngliche Grund für den RZ-Abriss, die Wiedererrichtung des Kirchenschiffs, nicht mehr geplant ist. Folglich ist keine Baufreiheit nötig. Die Stiftung Garnisonkirche hat ohne konkretes Bauvorhaben gemäß Schenkungsvertrag keinen Anspruch auf den (Teil)-Abriss.
Zu bedenken ist auch der Kostenfaktor: Ein Teilabriss wäre mit wesentlich höheren Kosten verbunden als ein Kompletterhalt des Gebäudes, da durch einen Teilabriss der Bestandsschutz entfällt und für das Rechenzentrum Anforderungen wie an einen Neubau gelten würden.

Nach der Vorstellung des Gutachtens erklärte Oberbürgermeister Mike Schubert im Spätsommer 2021, man wolle sich die vorgebrachten Argumente anschauen und habe überdies ähnliche Stellungnahmen wie die der Gutachter selbst im Rahmen des 4-Phasen-Prozesses mit in die Diskussion eingebracht.