Fünf Jahrzehnte Austausch zum »Minsk« und »Potsdam«
Ausstellung & Begleitprogramm
Eröffnung am 6. Oktober 2022, 17 Uhr
Die Ausstellung wird bis zum 27. Oktober 2022 gezeigt.

Öffnungszeiten: Mi – Fr: 14 – 18 Uhr, Sa & So: 11 – 16 Uhr

Vor mehr als fünfzig Jahren begann ein Austausch zwischen Potsdam und Minsk, der seitdem die Zivilgesellschaften der beiden Städte auf verschiedene Weise verbindet. Daraus gingen zwei Gaststätten hervor: 1971 eröffnete das Restaurant »Potsdam« in Minsk; 1977 begann die Nutzung des Terrassenrestaurants »Minsk« in Potsdam. Ihre Inneneinrichtung wurde jeweils von Künstlerkollektiven aus der namensgebenden Stadt verantwortet.

Prestigeträchtig und prominent platziert, wurden die beiden Restaurants zu Wegmarken der gastgebenden Städte – und auch zu Orten der informellen lokalen Aushandlung. Im »Minsk«, das zu Füßen des Potsdamer „Kreml” lag, gehörten SED-Kader zu den Stammgästen des Restaurants. Das »Potsdam« wurde zum Portal zum „Westen”: Das Restaurant war Treffpunkt der Diplomat:innen, der Politik- und Kulturelite, aber auch der „Farzovschchiki” — der Spekulant:innen, die westliche Waren an besser situierte Minsker:innen brachten.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Gaststätten nicht mehr für ihre ursprünglichen Zwecke benötigt. Die Inneneinrichtung vom »Potsdam« verschwand spurlos in den wilden 1990ern. Das »Minsk« wurde in den 2000ern dem Verfall überlassen.

In den 2010ern brachte der drohende Abriss die Restaurant-Ruine ins Zentrum der lebhaften Potsdamer Stadtdebatten und konsolidierte die Zivilgesellschaft über die Stadtgrenzen hinaus. Ein Abriss konnte bis 2019 verhindert werden. Durch den Kauf eines Mäzen und Stifters wurden die Abrisspläne endgültig beigelegt und es entstand ein privates Kunstmuseum in den Mauern des einstigen Restaurants, welches im September 2022 eröffnete.

Dieser überraschende Ausgang des fast zehnjährigen zivilgeschaftlichen Widerstands wurde zum Anlass für das Ausstellungsprojekt „Das Minsk”, welches im Oktober 2020 in der belarussischen Hauptstadt mit Unterstützung des Goethe-Instituts vor Ort realisiert wurde. Es sollte unter anderem die Minsker:innen zu mehr gesellschaftlichem Engagement ermutigen und das aufkeimende Interesse an der sozialistischen Moderne nähren. Doch als die Ausstellung eröffnete, war Belarus von einem friedlichen Protest beispiellosen Ausmaßes ergriffen. Einige der belarussischen Ausstellungsmacher:innen wurden verhaftet. Die brutale Niederschlagung der Proteste weist darauf hin, wie wertvoll eine liberale demokratische Ordnung mit ihrem Recht auf Meinungsverschiedenheiten ist.

Mit dem Rechenzentrum hat die Ausstellung einen Ort gefunden, der seit seiner Entstehung für Debatten über das Erbe der sozialistischen Moderne, die Macht der Zivilgesellschaft und das Recht auf Dissens steht.
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GASTMODERNE ist ein Projekt des Freundliche Übernahme Rechenzentrum e. V. und wird mit Förderung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, der Landeszentrale für Politische Bildung Brandenburg sowie der Landeshauptstadt Potsdam umgesetzt.

GASTMODERNE ist die Partner-Ausstellung zum Ausstellungsprojekt »Das Minsk«, welches 2020 in der belarussischen Hauptstadt stattfand.

Begleitprogramm

Sonntag, 09.10. – 15 Uhr
Zu Gast an der Zeitzeugentafel
Akteur:innen aus fünf Jahrzehnten MINSK und POTSDAM  kommen an einer langen Tafel zusammen und berichten von ihren Begegnungen mit dem „MINSK“ und dem „POTSDAM“. Ins Gespräch kommen u.a. der Minsk-Architekt Karl-Heinz Birkholz, Ingrid Barthe, Architektin des „Potsdam” und Dorothea Nerlich, Künstlerin und Witwe von Werner Nerlich, der das Gestaltungsteam des  „Potsdam” leitete. Außerdem nehmen Platz und berichten von ihrem Engagement für den Erhalt des leer stehenden Restaurant-Gebäudes: Steffen Pfrogner, der die Empfehlung zum Denkmalschutz formulierte und bei der Initiative Pro-Brauhausberg aktiv war, sowie Eric Blume vom Spartacus und Recht auf Stadt. Von Zwischennutzung durch Reflektor berichtet Daniel Nauck.

Moderation: Katja Dietrich-Kröck
Mit Kaffee und Gebäck.
Eintritt ist frei. Spenden sind erwünscht.

Dienstag, 11.10.2022 – 18.30 Uhr
Sozialistisches Erbe zu Gast oder
Zu Gast in Potsdam:  Künstler:innen Gespräch

Uladzimir Hramovich ist belarussischer Künstler im Exil. Er war Co-Kurator der Ausstellung „Das Minsk”. Seine Arbeit „Minsk-Potsdam”- ein Neonschild, welches die Logos beider Restaurants verbindet – sowie Drucke von Zeichnungen, die in seiner Gefangenschaft entstanden, zeigt die Gastmoderne.
Sonya Schönberger lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Reihe „Die Party ist vorbei” besteht aus sieben Gefäßen, welche aus Glas-Mosaiken der ehemaligen Fassade des Centrum Warenhaus am Ostbahnhof geblasen wurden.
Rodney LaTourelle ist in Berlin lebender kanadischer Künstler. Für die Ausstellung bildet er einen Formstein von Egon Wrobel aus Beton nach, den er aus abgerissenen Teilen eines weiteren Baus der Nachkriegsmoderne gerettet hat: dem Berliner Haus der Statistik.
Der Architekt und Fotograf Martin Maleschka ist Chronist der DDR-Moderne. In der Ausstellung zeigen wir vier seiner Fotografien zum Umgang mit Nerlichs Nachlass.

Im Gespräch über ihre Arbeiten setzen die Künstler:innen den Austausch über den Umgang mit dem sozialistischen Erbe fort.

Kosmos im Rechenzentrum, Eintritt ist frei. Spenden erwünscht.

Mittwoch, 12.10.2022 – 18 Uhr
„Gastmahl der Moderne” – Vortrag der Kuratorin
Die Architekturhistorikerin Oxana Gourinovitch hat die Ausstellungen „Das Minsk” und „Gastmoderne” kuratiert. In ihrem Vortrag nimmt sie uns tiefer in die Entstehungsgeschichte vom „Minsk” und „Potsdam” mit und berichtet vom Machen zweier Ausstellungen: Im Herbst 2020 in Minsk und im Herbst 2022 in Potsdam.

Kosmos, Rechenzentrum
Eintritt frei. Spenden sind erwünscht.

Samstag, 15.10.2022 – 13 Uhr
Zu Gast bei Egon Wrobel – Hausbesuch in Stahnsdorf
Treffpunkt: Bahnhofstraße 11, Stahnsdorf

Egon Wrobel ist Keramiker und Schmuckgestalter, geboren 1939, der an beiden Gaststätten mitwirkte. Den Potsdamer:innen sind Wrobels Arbeiten u.a. von der Freundschaftsinsel bekannt. Er lebt und arbeitet in Stahnsdorf und begrüßt Gäste in seinem Wohnort, wo er, umgeben von seinen Arbeiten, aus der Zeit der Entstehung des „Potsdam” und „Minsk” berichtet. Sein Haus, direkt am Stahnsdorfer Friedhof gelegen, steht unter Denkmalschutz und erzählt von Nachkriegswirren und -möglichkeiten.

Um Voranmeldung wird gebeten:  karten@rz-potsdam.de.
Die Teilnahme ist gratis. Spende ist erwünscht.

Sonntag, 16.10.2022 – 13.30 Uhr
„Vom Rechenzentrum zum „Das Minsk”
Kritische Stadtführung zum Umgang mit der Nachkriegsmoderne in Potsdam
Startpunkt: Kosmos  im Rechenzentrum Potsdam, Dortustraße 46

Das Rechenzentrum, das Hochschulgebäude am Alten Markt und das Wohnhaus Staudenhof, das Haus des Reisens am Platz der Einheit, die Schwimmhalle am Brauhausberg: Zahlreiche prägnante Gebäude der Nachkriegsmoderne sind in den letzten Jahren verschwunden oder akut vom Abriss bedroht.

Die dreiteilige Tour startet mit einem Rundgang in der Ausstellung „Gastmoderne”, der einen Blick in die Entstehung, Nutzung und das ehemalige Antlitz des MINSK ermöglicht. Die Stadtführung mit André Tomczak, der vom RZ zum MINSK führt, zeichnet die Entwicklung der Innenstadt seit dem Zweiten Weltkrieg nach. Hierbei finden der Umgang mit Sonderbauten der Nachkriegsmoderne und die Rekonstruktion verloren gegangener Barockbauten besondere Beachtung. Mit der Frage „wem gehört die Stadt?“ wird untersucht, welche Akteur:innen an der Stadtentwicklung beteiligt sind und welche nicht. Im dritten Teil führt Nicole Wozniak, Guide im MINSK, durch das neue Kunsthaus, das programmatisch und gestalterisch auf die Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart ausgerichtet ist.

In Zusammenarbeit mit dem MINSK Kunsthaus in Potsdam

Die Teilnahme ist gratis, die Teilnehmer:innenzahl begrenzt. Um Anmeldung wird gebeten an karten@rz-potsdam.de.